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Wenn das 360°-Feedback dem Unternehmen nützen soll ...

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Referenzprojekt:

Ein Unternehmen hat ein, in der Literatur als  360°-Feedback bekanntes, Personalentwicklungsinstrument eingeführt.  Damit können alle Führungskräfte jederzeit auf eigene Initiative einen Feedbackprozess starten. Jede(r) Befragte beantwortet dabei die gleichen 33 Fragen zu Führungsstil, Führungsverhalten und Ausfüllen der Führungsrolle. Alle disziplinarischen Führungskräfte sind verpflichtet, diesen Prozess mindestens einmal alle drei Jahre durch­zuführen. Die IT-unterstützte anonyme Befragung der Mitarbeite*innenr, Kolleg*innen, interner Prozesspartner*innen und der nächst höheren Führungskraft (daher 360°) wird automatisch ausgewertet und aufbereitet. Die Rückmeldung der Ergebnisse - zumindest an die Mitarbeiter*innen – ist verpflichtend, an die anderen Befragten erfolgt die Rückmel­dung nach Ermessen der Führungs­kraft . Von Seiten der Unternehmensführung ist die Aufarbeitung der Be­fra­gungsergebnisse mit einem Coach gewünscht, jedoch freiwillig.  Den Führungskräften wurde daher eine erleichterte Auftrags­vergabe an von der Personalabteilung speziell dafür ausgewählte Coaches ermöglicht.

Ausgangssituation:
Der Führungskraft liegen die Auswertungsergebnisse vor. Er/sie hat die Bearbeitungsvorschläge der Per­sonal­abteilung durchdacht und sich für ein Coaching und einen bestimmten Coach entschieden.
Der Coachingumfang ist fest vorgeben: 2 x 2 Stunden Einzelcoaching. Zusätzlich ist ein Workshop von einem halben oder ganzen Tag möglich.

Coachingprozess:
Der erste Kontakt zwischen mir und den neuen Kund*innen ist die Anfrage. Bei diesem Tele­fonat lernen wir uns kennen und meistens werde ich bereits inhaltlich informiert. Auffallend ist, wie sehr sich die Führungskräfte auf die Vorauswahl der Coaches seitens der Personalabteilung verlassen und vertrauensvoll sofort die Fakten nennen. Sie überspringen oft die gegenseitige Vorstellung, und ihre Ent­scheidung für mich als Coach steht bereits spürbar fest. Im Anschluss an das Gespräch stellen sie nicht nur das empfohlene „Template zur Auftragsklärung“ als Unterlage zur Verfügung, sondern schicken meist die gesamte Fragebogenauswertung. Damit kann ich mich vorab in die Ergebnisse einarbeiten und eine erste Einschätzung der Führungskraft und der Beurteilenden gewinnen.

Das erste Einzelgespräch hat immer die Ergebnisse der Auswertung zum Inhalt und welche Bedeutung sie für die Führungskraft haben. Gute Ergebnisse werden von den Beurteilten meist nur wohlwollend registriert, wo­hin­gegen mittlere und schlechtere Ergebnisse wichtiger genommen werde.
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In diesen Gesprächen wirken meine Erfahrungen aus verschiedenen 360°-Workshops oft relativierend. Es hat sich nämlich gezeigt, dass viele Mitarbeiter*innen bei Unklarheiten über den Inhalt einer Frage dazu tendierten, nur mittlere Noten zu vergeben. Daher ist es für die Führungskraft zunächst einmal entlastend, die Ergebnisse mit mir durchzusprechen, da ich die „Noten" nicht werte. Ein wichtiger Gesprächsinhalt ist es also, alle Ergeb­nisse zu würdigen, indem der die Klient*in die Gründe dafür sucht und ich dieses Nachforschen wertungsfrei be­glei­te. Die Führungskraft spürt meine wertschätzende Akzeptanz und wird damit frei, sowohl gute wie auch schlechte Ergebnisse anzunehmen und darüber nachzudenken.

„Endlich versteht je­mand, wie ich mich fühle, wie ich mir vorkomme, ohne dass er mich analy­siert oder beurteilen will. Jetzt kann ich endlich zu mir selbst kommen, mich entfalten und lernen“ (Carl R. Rogers, 1974).

Den meisten Führungskräften ist es dann ein Anliegen, die Auswertung mit ihren Mitarbeiter*innen zu be­sprechen, und sie entscheiden sich meist für einen halbtägigen Workshop. Diese knapp anmutenden vier Stunden Gesprächszeit haben sich trotzdem bewährt, da das Thema des Workshops stark eingegrenzt wer­den kann. Grundsätzlich muss dabei auch die Zusage der Anonymität gewahrt bleiben, d.h., nicht jede(r) Teilnehmer*in will sich auch öffentlich äußern.

Als Gesprächsbasis bevorzuge ich folgende von der Datenbank vorgegebene Auswertungen:
  • Die 5 am besten bewerteten Aussagen
  • Die 5 am schlechtesten bewerteten Aussagen
  • Die 5 größten Differenzen zwischen Selbsteinschätzung und Feedback
Dieses abgegrenzte Themenfeld gewährleistet, dass auch größere Gruppen nicht in Zeitnot kommen.

Ich bin mir immer bewusst, dass dieser Workshop eine herausfordernde Situation für alle Teilnehmer*innen ist, insbesondere für die Führungskraft. Erstens liegen die Ergebnisse schwarz auf weiß vor und stehen bei Ge­sprächsbeginn unbesprochen im Raum. Zweitens hat die Führungskraft zu einem Workshop eingeladen und damit verkündet, dass sie sich dem Gespräch über die Ergebnisse stellt.  Zusätzlich macht sie dies nicht im Rah­men einer normalen Besprechung, sondern es sitzt eine nicht einschätzbare Fremde – nämlich ich als Coach –  im Stuhlkreis. Es liegt an mir, bereits in den ersten Minuten des Workshops soviel Vertrauen in mich zu ermöglichen, dass sich die Ersten auf ein Gespräch einlassen wollen.

Die inhaltliche Arbeit beginnt damit, dass ich den Teilnehmer*innen die Bewertungsergebnisse der o.g. Fragen vorstelle. Dabei lege ich großen Wert darauf, nicht einfach Zahlen zu verlesen, sondern nur Trends zu be­schrei­ben, die sich aus den Ergebnissen herauslesen lassen: positiv, mittel oder negativ.  Dann versuche ich, von den Mitarbeiter*innen Berichte über tatsächlich erlebte Situationen zu erhalten, die diese Trends bestätigen oder widerlegen. Auf diese Weise werden die Auswertungen mit konkreten Erlebnissen unterfüttert. Die Führungskraft erhält so eine Spiegelung ihres Verhaltens und hat danach die Chance es zu erläutern. Das Ziel ist, sich gegenseitig zu verstehen und die Beweggründe des anderen nachvollziehen zu können, um zukünf­tig einfühlender agieren und verschleppte Konflikte beenden zu können.

Diese Gespräche haben einen langsamen Rhythmus und beinhalten Wartezeiten, da die Teilnehmer*innen vieles gedanklich abwägen, bevor sie sich äußern. Zusätzlich sind die Workshops aufgrund ihrer Gründlichkeit und Achtsamkeit für die Beteiligten sehr ungewohnt. Ich war anfangs skeptisch, dass solche personzentrierten Ge­spräche in diesem Konzept Platz finden, aber durch die Fokussierung auf wenige Fragen funktioniert es. Besonders wichtig erscheint mir, dass die Teilnehmer*innen die Führungskraft in einem solchen Workshop als "Lernende(n)" wahrnehmen. Andere Fragen und Probleme der Gruppe müssen außen vor bleiben, damit sich der Zeitrahmen einhalten lässt.

Im Vergleich dazu wirkt das zweite Einzelcoachinggespräch mit der Führungskraft leicht. Die meisten Führungs­kräfte nutzen die Gelegenheit, den Workshop noch einmal zu reflektieren, den Stand zu evtl. ge­troffenen Vereinbarungen zu berichten und tagesaktuelle Fragestellungen mit mir zu besprechen.

Erfolge:
Die Abschlussrunden in den Workshops zeigen immer, dass die Eingeladenen die Möglichkeiten eines sol­chen Gespräches unterschätzt hatten und die konkreten Klärungen zwischen ihnen und ihrer Führungs­kraft positiv erleben und in den Arbeitsalltag mitnehmen.

Die Führungskräfte haben sich mehr Sicherheit für Ihre Rolle erarbeitet und die Beziehung zu ihren Mitar­beiter*innen (weiter) verbessert. Dies erleichtert der Führungskraft auch die selbstständige Durchführung des empfohlenen Follow-up-Gesprächs, welches diesen Feedbackprozess nach einigen Monaten abschließt.